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Abschrift aus den Gerichtsakten

An das Amtsgericht von Franz Teschner, Oberjustizsekretär und Vorsitzender der Christlichen Elternvereins in Connewitz

Werner Mendt besuchte mit Erfolg die 7. VS
Ohne Befragung der Eltern wurde er zwangsweise herausgerissen
Wurde nicht einmal mit den einfachsten Regeln der Rechtschreibung und des Rechnens vertraut gemacht
Bezirkszwang Versuchsobjekt
Dieser Zwang bestünde nach Aussagen des Volksbildungsministers nur in Leipzig. Herr Buck selbst hat den Eltern, soweit sie dagegen sind, empfohlen, sich beschwerdeführend an die Schulbehörde zu wenden. Auf keinen Fall könnten Eltern gezwungen werden, ihr Kind als Versuchsobjekt herzugeben
Seit 17. November Sohn ferngehalten
Nicht die Kinder für den Lehrer, sondern der Lehrer für die Kinder da
Schulbehörde verweigert Wechsel auf normale VS, deshalb bleibt nur Wechsel auf Privatschule

Versuchsschule Prozessakten
An den Rat der Stadt Leipzig, 12.  April 23
Beweismittel:
Lehrplan der 54. VS
Lehrplan einer vergleichbaren anderen VS
Etwa vorhandenes statistisches Material über die bisherigen Erfolge
Etwa sonst noch vorhandenes Material, ob die 54. Schule als Volksschule im Sinne des Volksschulgesetzes anzusehen ist

Antwort Schulleiter Schnabel, 25.4.23
Ein besonderer Lehrplan besteht nicht
Der Erfolg der Schule besteht darin, dass die zuständige Behörde (Bezirksschulrat, Bezirksschulausschuss, Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichtes) seit Bestehen der Schule keine Ursache zum Einschreiten gefunden hat.
Von 37 Knaben aus den 1.,2.,4.,5. Klassen, die sich Ostern nach höheren Schulen gemeldet hatten, haben 29 die Prüfung bestanden.

Artikel „Die Selbsterziehungsanstalt“
Besucht seit März die Schustersche Privatschule und kommt dort gut zurecht
Einige Schüler seien ohne Wohnungswechsel entlassen worden, auch seien Kinder aus anderen Bezirken auf Wunsch der Eltern aufgenommen worden
Beispiele für die Lehr und Erziehungsmethode
Die Kinder erziehen sich gegenseitig selbst, sie haben auch die Strafgewalt
Folge Leberquetschung und wochenlange ärztliche Behandlung
Schüler können als Indianer zur Schule kommen
Bezirksschulrat Wehner wegen Befangenheit als Zeuge abgelehnt,
300 M Geldstrafe

LLZ Nr. 18, 30.Mai 1923
Vorwurf Schulleiter weiß nichts vom Traumbuch
Mädchen der Unterklasse führen Traumbuch
LVZ, 25. Mai
Vier Spalten
Überschrift Gerichtssaal Ein Opfer der christlichen Elternvereine
Vorwurf Mendts Sohn könne durch den Besuch der Schule nur Proletarier werden
LNN 30.09.1923
Gerichtssaal
Die Versuchsschule ist keine anerkannte Volksschule. Es besteht für die kein Schulzwang
Prof. Litt gab in seinem Gutachten an, dass die Versuchsschule in ihrer Arbeit zu den Schülern von einer ganz neuen pädagogischen Weltanschauung ausgehe. Ein abschließendes Urteil könne er nicht abgeben, dazu müsse er sich eingehend mit ihr beschäftigen.
Es gibt aber Kinder, und deren Zahl ist nicht klein, denen die Freiheit, die ihnen in der Versuchsschule gewährt wird, gefährlich werden kann, und für die strengere Disziplin nötig ist.
Das Urteil
Das Gericht hat den Angeklagten freigesprochen, unter Übernahme der Kosten auf die Staatskasse
Die Versuchsschule ist nicht eine Schule im Sinne des Reichsvolksschulgesetzes, sie hat eine ganz andere pädagogische Basis.
Ein Urteil über die Vorzüge und Nachteile …will und kann das Gericht nicht abgeben

Leipziger Abendpost
Die Kinder lernen „spielend“

Eine Mutter, die sich beschwerte, dass ihr Sohn so schlecht schreibe, hat der Klassenlehrer damit getröstet, dass es doch Schreibmaschinen gebe. Eine andere Mutter erzählte, dass ihr Stadtrat Dr. Ackermann geantwortet habe, weil ihr Junge so sehr in der Rechtschreibung zurückbliebe, die Frau Rat Goethe sei eine berühmte Frau geworden und habe auch nicht richtig schreiben können.

Brief der 54. Volksschule an das Bezirksschulamt   am 2.10. 23
Bl. 22
Schule wendet sich gegen das Urteil vom 28.9.23
Ungerechte Verteilung der Zeugen, 1 Vater, 6 Mütter und nur 1 Lehrer
Der Schulleiter wurde nicht vernommen, obwohl er ordnungsgemäß als Zeuge geladen war.
Beantragt Revision
Außer den einzelnen Versuchsabteilungen (Thielemann, Erler) bestehen in allen Schulen Klassen, die in gleicher Weise wie die 54. Volksschule arbeiten.
Das Urteil gestattet jedem Erziehungsberechtigten, sein Kind aus diesen Klassen zu nehmen. Das bedeutet die Zerschlagung der Leipziger Volksschulen und muß zur Bildung von Minderheitenschulen führen. Schwere soziale und pädagogische Schäden und nicht zu übersehende finanzielle Opfer für Stadt und Staat wären die unmittelbaren Folgen
Unterschrift Die Lehrerschaft der 54. Volksschule
i.A. Schnabel

Bl. 23
Gerichtsakte 29.9.23
Unterschrift Dr. Schumann
Verdikte vorwiegend formaler Art
-    Fehlen eines geordneten Lehr- und Stundenplanes
-    Körperlicher Ausbildung höherer Wert beigemessen als der geistigen
-    Wenig oder keine Hausaufgaben
-    Handfertigkeitsunterricht als Spielerei
-    Oft kommen Schüler schmutzig nach Hause
-    Träume der Schülerinnen als Übung für den Aufsatzunterricht
-    Lehrspaziergang als Vernachlässigung der erzieherischen Pflichten
-    Kameradschaftliches Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler
-    Respektswidrigkeit, keine Disziplin
-    Religions- oder Moralunterricht
-    Sinken des moralischen Bewusstseins wegen fehlender Religion
-    Theodor Litt betonte von vornherein, dass es unmöglich sei, die theoretischen Grundlagen unter den Gesichtspunkt Methode und Ziel zu rücken. Es handele sich eher um eine pädagogische Weltanschauung, der die Gesamtentwicklung des Menschen auf der Grundlage seiner Individualität im Mittelpunkt stehe. Das Individuum in seiner wertbezogenen Einmaligkeit der Gesellschaft wertvoll zu machen, betrachtet diese Weltanschauung als ihre vornehmste Aufgabe.
-    Es gebe zwei Arten des Schulgeistes. Entweder der Abstand zwischen Lehrer und Schüler bleibe erhalten. Der Lehrer wendet den Schülern seine Teilnahme zu, diese fühlen zuerst den Wert der ihnen nahe gebrachten Gegenstände und verehren demzufolge den Träger und Vermittler dieser Werte. So etwas ließe sich die alte Autoritätsschule zeichnen.
-    Oder aber Lehrer und Schüler lernen sich als Einheit fühlen, die Lehrer verzichten auf unbedingte Überordnung, um auf diese Weise der Individualität des Einzelnen gerecht zu werden, die sich nur in Freiheit entwickeln kann. So stehen einander entgegen: Autorität und Freiheit. Dass bei der Freiheit, die den Kindern in der Arbeitsschule gewährt werde, bei vorhandener Veranlagung die Gefahr einer nicht genügenden sittlichen Förderung im Sinne der Legalität bestehe, sei zuzugeben. Zu diesem Zusatz, der von der Verteidigung des angeklagten vollkommen falsch verstanden wurde, ist zu bemerken, dass diese Gefahr bei aller Erziehung in jeder Schule und in jeder Klasse vorhanden ist. Dieses Urteil ist an die Voraussetzung einer vorhandenen Veranlagung geknüpft und in diesem Sinne allgemeingültig. Es  kann daher nicht als Argument gegen die Versuchsschule geltend gemacht werden.

Der Angeklagte und sein Verteidiger stünden mit ihrer Weltanschauung in konträrem Gegensatze zu der Versuchsschule. Diese Gegensätze seien miteinander unvereinbar, da dem
Angeklagten der Blick für die Bedeutung des Arbeitsschulgeistes fehle.

LLZ Nr.31  Bl. 28
Es sei schwierig, eine juristische Formulierung zu finden
Lehrziel und Methode seien hier nicht so wichtig und auf belanglose Unterschiede komme es dabei nicht an. Hier habe ein neuer pädagogischer Geist, der auch anderwärts vorhanden sei, eine besonders prägnante Form gefunden. Diese neue „pädagogische Weltanschauung“ vertrete einen so genannten Gesamtunterricht, in dem die Anlagen und Kräfte des Kindes sich frei entfalten könnten. Dieser Unterricht verzichte grundsätzlich auf eine stundenplanmäßige Fächerung und und in sittlicher Hinsicht mit dem Gedanken der Gemeinschaftserziehung auch auf die Strafe. Man solle diese auf Optimismus gegründeten Ideen ruhig wachsen lassen, dann komme das Ergebnis von selbst.
Fortsetzung auf Foto

Richter
Wo sollen wir hinkommen, wenn die Kinder machen können, was sie wollen?